Produktionen seit 1992 - 1999

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Maschinenstürmer

Ernst Toller

Seit sechseinhalb Jahren spielen Obdachlose Theater an der Volksbühne. Ob im Spielplan oder in der Kantine - längst sind sie fester Bestandteil des Theaters geworden; und "Obdachlosigkeit" scheint in ihrem Zusammenhang fast schon zu einer romantischen Formel mutiert zu sein, früher identifikationsstiftend als Überbegriff für Ausgeschlossensein, heute als Fachrichtung einer künstlerischen Profession. Asoziale Konfrontation und soziale Thematik sind miteinander verschmolzen, Gewöhnung und Zähmung auf beiden Seiten wirksam geworden, bei den Spielern wie bei ihrem Publikum. Ernst Tollers "Maschinenstürmer", ihre bereits 15. Produktion, stellen die RATTEN nun in größerem als dem gewohnten Rahmen vor, auf der Hinterbühne, wohin sie Frank Castorf nicht nur wegen ihres anhaltenden Erfolges im Haus sowie auf zahlreichen Gastspielen expediert hat, sondern vor allem wegen der thematischen Nähe zu "Hauptmanns Weber".
"Maschinenstürmer", das Toller 1920 während seiner Festungshaft verfasste, handelt auf der Folie des englischen Weberaufstands von 1815 und vor dem Hintergrund der Ereignisse in Deutschland 1918/19 vom Scheitern einer gerechten Revolution am Egoismus und Verrat einzelner. Die Weber planen die Zerstörung der neuen Webmaschine, die der Fabrikant Ure angeschafft hat und die mit ihren Arbeitsplätzen auch ihr nacktes Überleben bedroht. Die Maschine ist ein Dämon oder neuer Gott; ihre irrationale, aus Fremdheit und Ungebildetheit erwachsende Suggestivität steigert sich noch durch den Umstand, dass es geschickter Kinder- und Frauenhände bedarf, um sie zu bedienen. Der Revolutionär Jimmy Cobbett predigt den Arbeitern Vernunft und fordert statt der Zerstörung der neuen Produktionsmittel deren Aneignung und Nutzbarmachung. Doch er macht sich damit nicht nur den Fabrikanten zum Gegner, dem ein mit der Zerstörung der Maschine einhergehender Aufruhr gerade zupaß käme, sondern auch die entlassenen Weber selbst, die lieber im anachronistischen Irrglauben verharren, als dem Fortschritt ins Auge sehen zu müssen. Auf dem Höhepunkt dieses Anachronismus' beschwört einer der Weber, der die künftige Arbeitsteilung vorausahnt, in einer Vision die Maschine als ein dämonisch-seelenloses Ungeheuer, so das ihr von der Menge eine quasi göttliche Verehrung entgegengebracht wird: "Und die Seele ist tot".

Gunter Seidler inszeniert dies "Drama aus der Zeit der Ludditenbewegung in England" mit dem 23-köpfigen RATTEN-Ensemble, das Bühnenbild entwirft Bernd Schneider, die Kostüme Michaela Barth. Regiemitarbeit: Hendrik Mannes.

Premiere: 10. Februar 1999 auf der Hinterbühne

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